Reiche Wahlkämpfer und arme Wähler
Die AfD ist künftig in allen Hamburger Bezirken vertreten. Dabei hatten die Rechtspopulisten weder ein Wahlprogramm noch starke Kandidaten. Wie konnte das passieren?
veröffentlicht bei Zeit Online
Aus Sicht der Rechtspopulisten ein voller Erfolg: Die Wahlergebnisse bei der Europawahl und bei den Hamburger Bezirkswahlen
Hätte die Alternative für Deutschland (AfD) die Dreiprozenthürde für die Hamburger Bezirkswahlen nicht erreicht, dann hätte Kay Gottschalk die Schuldigen schnell ausgemacht. Während der vergangenen Wahlkampfwochen wurden immer wieder Plakate der AfD beschmiert oder zerstört – und für den Kandidaten für den Bezirk Mitte steht fest, dass linksalternative Gruppen dafür verantwortlich sind. “Kein Wunder, dass wir angesichts dieser gezielten Attacken kaum wahrgenommen wurden”, sagt der Endvierziger mit schmächtiger Statur. “Das hat jetzt ein Ende. Jetzt wird gegen links gekämpft!”
Nicht nur für die Bundes AfD, auch für die Hamburger AfD waren die Wahlen am Sonntag ein voller Erfolg. Die Rechtspopulisten werden zukünftig in allen sieben Bezirken vertreten sein. Spitzenreiter ist dabei mit sechs Prozent das südliche Harburg, in Hamburgs größtem Bezirk Mitte wählten immerhin 5,1 Prozent die AfD. Und die Statistik zeigt: Vor allem in den sozialschwachen Stadtteilen im Osten stimmten die Menschen für die neue Partei – in Billbrook 6,5 Prozent, in Horn 7,5 Prozent und in Billstedt 7,6 Prozent. Klinker- und Hochhaussiedlungen, die wie Inseln zwischen dreispurigen Autobahnen und großflächigen Gewerbeparks liegen, prägen das Bild jener Viertel. Hier wohnen überwiegend Arbeiter und viele ältere Arbeitslose, abgeschnitten und weit weg von den wohlhabenden Ecken der Hansestadt.
Eine Extremismusklausel auf Kommunalebene
AfD-Politiker Kay Gottschalk (Mitte) bei der Wahlkampfparty in der Hafencity - hier blieb das konservative Bürgertum unter sich
Foto: Julia Kneuse
Wohlhabende Ecken findet man hingegen in der von Stararchitekten entworfenen und stadtpolitisch umstrittenen Hafencity: Hier feierte die AfD am Sonntag ihre Wahlparty und die Veranstaltung offenbarte: Zwischen Wählern und Parteimitgliedern gibt es auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten. Die Herren erschienen überwiegend in Anzügen und die Damen in eleganten Kostümen – das konservative Bürgertum blieb an diesem Abend unter sich.
Auf der Terrasse der schicken Elbarkaden Lounge genossen sie bei einem Glas Wein die letzten Sonnenstrahlen oder fieberten drinnen den ersten Hochrechnungen für die Europawahl entgegen. Dass zeitgleich in den Hamburger Bezirken gewählt worden war, schien kaum jemanden zu interessieren. Und selbst Kay Gottschalk, der Kandidat für Mitte, nutzte den Abend eher, um sich als Feind der Linken zu profilieren anstatt für seine Themen zu werben.
Er wolle eine Extremismusklausel auf Kommunalebene anregen, so der Versicherungskaufmann. Bereits in den vergangenen Wochen hatten die angehenden Lokalpolitiker versucht, sich als Hardliner in Sachen Innere Sicherheit zu präsentieren – um so von der aufgeheizten Stimmung in der Stadt zu profitieren. Die Debatte um den Umgang mit den Flüchtlingen, der Streit über das besetzte Kulturzentrum Rote Flora und nicht zuletzt die Errichtung des Gefahrengebiets Anfang des Jahres haben die Hamburger gespalten und eine Lücke für simple Lösungen geschaffen. So unterstützte die AfD Anwohnerproteste gegen eine Asylbewerberunterkunft im Alsterviertel Harvestehude, fordert die Räumung der Flora und verlangt mehr Personal für die Polizei.
Einmal zur Urne, zweimal protestwählen
Allein diese “politische Gelegenheitsstruktur”, die Experten als eine Ursache populistischer Erfolge sehen, erklärt die Wählerstimmen allerdings nicht. Wie die Statistik deutlich macht, existiert ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen bei den Bezirks- und den parallel stattgefundenen Europawahlen. Auch dabei stimmten mit 7,6 Prozent in Harburg die meisten Wähler für den eurokritischen und nationalen Kurs der AfD – mehr als im Bundesdurchschnitt.
Dass mit einem Urnengang gleich zweimal protestgewählt wurde, ist also naheliegend. Denn auch auf Bundesebene konnte die Partei vor allem in den armen Regionen punkten, etwa in Frankfurt/Oder, Brandenburg oder im sächsischen Landkreis Görlitz. Dort liegt die Arbeitslosenquote bei zwölf Prozent und das Nettoeinkommen ist so niedrig wie sonst nirgendwo in Deutschland.
Fünf Jahre hat die AfD in Hamburg nun Zeit, um zu zeigen, wofür sie wirklich steht. Dabei wird sie als erstes erkennen müssen, dass die Entscheidungskompetenzen der Bezirksversammlungen durchaus begrenzt sind. Über den Ausbau von Fahrradspuren auf Straßen etwa, gegen die sich zumindest Kay Gottschalk sträubt, bestimmt zum Beispiel die Bürgerschaft. SPD-Bezirkspolitiker Falko Droßmann spottet deshalb schon jetzt. “Das ist doch alles überhaupt nicht umsetzbar”, sagt der Fraktionsvorsitzende Mitte. Er glaubt nicht, dass sich die Neulinge langfristig für die ehrenamtliche Arbeit begeistern werden. “Ich wette, schon zur dritten Sitzung kommt keiner mehr.”