So wie einst Ronald Schill

Die AfD setzt im Hamburger Kommunalwahlkampf auf die Innere Sicherheit – damit hatte in der Hansestadt schon einmal ein Rechtspopulist Erfolg.

veröffentlicht bei Zeit Online und bei Hamburg Mittendrin

Foto: Julia Kneuse

Julian Flak hat seinen Scheitel akkurat gekämmt und den karierten Schal ordentlich in der cremefarbenen Tommy-Hilfiger-Jacke verstaut. An den Reißverschluss hat sich der Wirtschaftsjurist einen Anstecker seiner Partei geheftet. Flak ist Mitglied bei der Alternative für Deutschland (AfD) und gerade dabei, Unterschriften für die Bezirkswahl zu sammeln. 200 pro Bezirk braucht die Partei, gemessen an der Einwohnerzahl ist das nicht viel. Entsprechend entspannt gibt sich Flak, der sich selbst Lokalpatriot nennt, an diesem Mittwoch auf einem Wochenmarkt in der Hamburger Innenstadt. 

Er plaudert über die Probleme, die ihn umtreiben: die Polizei müsse gestärkt, das besetzte Kulturzentrum "Rote Flora" geräumt und die Staatsverträge zwischen Senat und den muslimischen Gemeinden der Stadt rückgängig gemacht werden. "Man schließt ja auch keine Verträge mit Rechtsextremisten."

Als Anti-Euro-Partei hatte sich die AfD vor einem Jahr gegründet und war bei der Bundestagswahl nur knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert. Nun gilt es, politisch am Leben zu bleiben – und das heißt, Wahlen zu gewinnen. Besonders gute Chancen rechnet sich die AfD für die Europawahlen im Mai aus, spätestens, seit das Bundesverfassungsgericht die Dreiprozentklausel dafür gekippt und damit den Weg für Kleinstparteien frei gemacht hat. 

Wählermilieus auf drei Ebenen

Doch je näher der Termin rückt, desto mehr offenbart sich, wie zerstritten die Anhänger sind. Ende März kam es beim Bundesparteitag zum Eklat, als sich viele Mitglieder gegen den Bundesvorsitzenden Bernd Lucke auflehnten. Der Hamburger Wirtschaftsprofessor hätte gern alle Zügel in der Hand, um eins zu verhindern: die Öffnung gegenüber rechten Positionen. Dabei könnten genau die zum Wahlerfolg führen.

Der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Alexander Häusler verfolgt die Entwicklung der AfD genau. Er ist überzeugt, dass sie mit Euro-Skepsis allein langfristig nicht erfolgreich sein wird. "Die Partei agiert auf drei Ebenen: der extrem marktliberalen, der national-konservativen und der rechtspopulistischen", sagt er. "Sie muss Wählermilieus aller drei Ebenen ansprechen, will sie sich politisch verankern."

Deshalb bedienten sich die Landes- und Kreisverbände verschiedenster Themen. Während der Kommunalwahlen in Bayern kämpfte der Stadtverband München etwa für weniger Bürokratie beim Wohnungsbau, niedrigere Preise im Nahverkehr und, ganz im Sinne der Bundespartei, strengere Regeln bei der Einwanderung. Dafür macht sich auch die AfD in Hamburg stark. Doch als Kernthema hat sich ein anderes herausgepickt: die Innere Sicherheit.

"Politische Gelegenheitsstruktur" nennen Populismus-Experten das, was sich in Hamburg derzeit entwickelt. Seit vergangenem Herbst gibt es in der Hansestadt einen heftigen Streit über den Umgang mit afrikanischen Flüchtlingen, über den Abriss der legendären "Esso-Häuser" auf der Reeperbahn und über die Zukunft der "Roten Flora". Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste genehmigte der Innensenator Michael Neumann (SPD) Anfang Januar die Einrichtung eines Gefahrengebietes in mehreren Stadtteilen, wodurch die Polizei anlasslos Personenkontrollen durchführen und Platzverweise erteilen konnte. 

Diese harte Gangart gegenüber den Protestierenden hat die Stadt gespalten – während sich linksalternative Gruppen unter Generalverdacht gestellt fühlen, unterstützt eine Mehrheit Umfragen zufolge das Durchgreifen der Polizei. Aus Sicht der AfD eine ideale Ausgangsituation, um sich als Hardliner zu profilieren.

Mehr Law and Order, mehr Ressentiments

Der Bezirksverband Mitte, zu dem auch Unterschriftensammler Julian Flak gehört, scheint sich sogar ausschließlich für mehr Recht und Ordnung begeistern zu können.  Die Bezirklichen Ordnungsdienste (BOD), deren Auflösung der Senat im Dezember beschlossen hatte und die sich vor allem als "Knöllchenverteiler" einen Namen gemacht hatten, sollen wieder eingeführt sowie die Polizei personell verstärkt werden, heißt es auf der Webseite. Und ein weiterer Wunsch: "die Durchsetzung des Vermummungsverbotes bei Demonstrationen". Welche Positionen der Verband zum Thema Integration vertritt, steht auf der Homepage nicht. Und so braucht es das persönliche Gespräch, um herauszufinden, dass die Anhänger Muslimen extremistische Tendenzen unterstellen und die Flüchtlinge in der Stadt unverhohlen "Asylanten" nennen.

Mehr Law and Order, mehr Ressentiments – damit hatte in Hamburg schon einmal ein Rechtspopulist Erfolg. Bei der Bürgerschaftswahl 2001 erreichte der als "Richter Gnadenlos" berüchtigte Amtsrichter Ronald Schill aus dem Stand 20 Prozent und wurde unter Ole von Beust (CDU) Innensenator. Dass die AfD an diesen Erfolg gern anknüpfen würde, darin ist sich auch der Wissenschaftler Alexander Häusler sicher. Allerdings: "Mit Schill gab es eine Person, der man die Umsetzung dieser Politik zutraute." Genau so eine populäre Person fehle der Hamburger AfD. "Noch zumindest."

 

    Die Salafisten von Mümmelmannsberg

    Schüler fühlen sich bedroht, Lehrer sind überfordert: An Hamburger Schulen gibt es ein Problem mit Islamisten. Politik und Pädagogen suchen nach Lösungen.

    veröffentlicht bei Zeit Online

    Bildrechte: Jonas Walzberg

    Bildrechte: Jonas Walzberg

    Detlef Aßmann spricht gerne klare Worte. Er ist Direktor an der Stadtteilschule Mümmelmannsberg, da muss er  Stellung beziehen können. Doch in den vergangenen Tagen schwieg Aßmann beharrlich – ganz gleich, welche Medien bei ihm anfragten. Alle wollten wissen, was es mit einem internen Bericht der Schulbehörde auf sich hat, der in die Hände der Hamburger Morgenpost geraten war.

    Religiös gefärbte Konfliktlagen an Hamburger Schulen heißt das Papier, in dem verunsichert klingende Lehrer berichten: Von Mädchen, die drangsaliert würden, weil sie kein Kopftuch tragen. Von Eltern, die sich bedroht fühlen, weil sie ihre Kinder an einer Schulparty teilnehmen lassen. Von einem "täglichen Kleinkrieg" um Religionsfragen ist in dem Bericht die Rede. Er schildert ein Problem, das es bereits in anderen Bundesländern gibt. So schlug der hessische Landesverband der Lehrergewerkschaft GEW Anfang Januar Alarm. Man benötige dringend Unterstützung.

    Fünf bis zehn Hamburger Schulen sollen betroffen sein, mutmaßliche Keimzelle ist die Stadtteilschule in Mümmelmannsberg. Im als Problemstadtteil verschrienen Hochhausviertel sorgt der Bericht für Gesprächsbedarf: "Immer sind wir im Mittelpunkt, wenn es um so etwas geht. Immer schauen alle auf uns. Das stinkt mir gewaltig", schimpft ein Bewohner auf der öffentlichen Sitzung des Sanierungsbeirats, einem Gremium für Stadtteilentwicklung. Zu dem Termin ist auch Schulleiter Aßmann erschienen. Der Vorsitzende Michael Mathe versucht zu beschwichtigen. Es seien seit etwa einem Jahr besorgniserregende Entwicklungen zu beobachten, denen man hellwach, aber ohne falschen Populismus begegnen müsse.

    Zahl der Salafisten in Deutschland steigt

    Bisher ist unklar, wer hinter den Aktionen steckt. Im Mittelpunkt der Hamburger Debatte steht eine Gruppe Salafisten – Islamisten, die durch ein besonders fundamentalistisches Koran-Verständnis und ein rückwärtsgewandtes Weltbild auffallen. Salafisten versuchen, Ungläubige zu missionieren. In Deutschland steigt ihre Zahl seit Jahren, allein in Hamburg zählte der Verfassungsschutz zuletzt 200. Allerdings: nicht alle sind zwingend gewaltbereit.

    Mitte Dezember beriet der Sanierungsbeirat mit Vertretern der Schulbehörde, des Verfassungsschutzes sowie mit Islamwissenschaftlern, um einen ersten Überblick zu bekommen. Nun, zwei Monate später, trägt Michael Mathe die bisherigen Erkenntnisse vor. Vor den Bewohnern des Stadtviertels bemüht sich der Vorsitzende des Beirats um sachliche Formulierungen. Denn so groß die Sorge vor islamistischen Fundamentalisten ist, so wenig wollen die Verantwortlichen Vorurteile gegenüber Muslimen befeuern.

    Für Salafisten und Islamisten sei kein Platz an Hamburger Schulen, erklärte die Bürgerschaftsfraktion der CDU nach Bekanntwerden des Problems. In einer extra einberufenen Pressekonferenz sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD), dass Schuleschwänzen aus religiösen Gründen nicht geduldet werde. Seine Behörde denke zudem darüber nach, eine Meldepflicht für politisch-motivierte Konfliktfälle einzuführen. Das dürfte – genau wie die Idee, religiöse Extremisten auszusperren – schwierig werden.

    Zum einen sind die Vorfälle nicht allein auf die Pausenhöfe und Klassenzimmer beschränkt. Auch in Jugendzentren und auf der Straße sollen Flyer verteilt und Frauen wegen ihrer Kleidung beschimpft worden sein. Zum anderen berühren die Forderungen das Grundgesetz und das stellt klar: Niemand darf aufgrund seines Glaubens benachteiligt werden.

    Es ist ein Spagat, den die Hamburger Politik versucht. Sie muss die Entwicklung ernst nehmen, ohne pauschal zu urteilen und die muslimischen Bewohner des Viertels gegen sich aufzubringen. Die Sozialbehörde im Bezirk Hamburg-Mitte arbeitet seit mehreren Monaten an einem Konzept. Jetzt, nach den alarmierenden Medienberichten, steht ihre Arbeit in der Öffentlichkeit. "Es braucht klare Vorgaben, was etwa die Forderung nach Gebetsräumen oder die Identifizierung von verschleierten Menschen angeht", sagt Bernd Schmidt von der zuständigen Abteilung. In einer Arbeitsgruppe werden deshalb Handlungsvorschläge für Lehrer und Erzieher entwickelt. Denn sie sind es, die im Einzelfall zwischen Toleranz gegenüber der Religion und konsequentem Einschreiten entscheiden müssen. Schmidt gibt aber auch zu: "Wir haben bisher noch keine kluge Antwort."

    Bis dahin müssen die Pädagogen in Mümmelmannsberg selbstständig Lösungen finden. Wie diese aussehen, erklärte Schulleiter Aßmann während der Sitzung des Sanierungsbeirats. Erst kürzlich hätten er und seine 150 Lehrer gemeinsam mit Imamen und Experten zusammengesessen, um zu beraten, wie man der religiösen Vielfalt der Schüler gerecht werden könne, sagt er. Von Warnrufen in der Presse scheint er nicht viel zu halten: "Wir machen hier vor Ort die Ameisenarbeit. Und ich bin überzeugt: Wir sind auf einem guten Weg."

    Rausgekickt

    Ayodele Medaiyese lebt seit zwei Jahren in Hamburg. Der 18-jährige Nigerianer ist gut integriert, lernt fürs Abitur und trainiert beim HSV. Jetzt droht die Abschiebung. 

    veröffentlicht in der taz nord

    Ayodele Medaiyese ist sehr ehrgeizig. Seit er vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen ist, hat er seinen Realschulabschluss gemacht und besucht nun die Oberstufe der Nelson-Mandela-Gesamtschule in Kirchdorf. Nebenbei spielt der 18- Jährige beinahe täglich Fußball, seit einem Jahr beim HSV. Abends, wenn seine Freunde längst frei haben, sitzt Ayodele am Schreibtisch und büffelt. Manchmal bis zwei Uhr in der Nacht. "Ich habe eh' schon so viel zu tun", sagt er. "Und jetzt auch noch das!"

    "Das" ist die Abschiebung, die Ayodele im Januar droht. Da er volljährig ist, gebe es keine rechtlichen Möglichkeiten für eine Aufenthaltsgenehmigung, so die Begründung der Ausländerbehörde. Dass der Junge noch zur Schule geht und dass seine komplette Familie in Hamburg lebt, spiele keine Rolle. "Da sind uns rechtlich die Hände gebunden", sagt ein Sprecher. Ayodeles Vater, Michael Medaiyese, kann diese Argumentation nicht begreifen. Denn: Er selbst besitzt seit vier Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach Deutschland ist er ausgewandert, da war der Sohn vier Jahre alt, die Mutter folgte weniger Jahre später. Ayodele und sein jüngerer Bruder wuchsen bei Pflegeeltern auf.

    Vor zwei Jahren dann, ohne Voranmeldung und ohne Pässe, wurden die beiden Jungen in den Flieger nach Deutschland gesetzt. Hier haben sich für Ayodele Chancen aufgetan, von denen er nie zu träumen gewagt hätte: Er könnte Ingenieurwesen studieren – oder Fußballprofi werden. Als Ayodele von seinen Plänen spricht, schaut er bedrückt zu Boden. "In Nigeria erwartet mich doch niemand. Da ist nichts, nur Chaos."

    Foto: Julia Kneuse

    Foto: Julia Kneuse

    Um ihm zu helfen, haben Mitschüler und Freunde eine Kampagne gestartet. Es gibt eine Online-Petition und eine Seite bei Facebook, die bereits knapp 11.000 Menschen gefällt. So hat auch HSV-Profi Dennis Aogo von dem Fall erfahren. "Er ist ein guter Junge, macht bald Abitur, ist total integriert", schreibt Aogo auf seiner Profilseite. Auch Thomas Krieger, Ayodeles Klassenlehrer, will seinen Schüler unterstützen. "Da bemühen wir uns zwei Jahren um ihn und freuen uns, dass er sich so wunderbar einfügt. Und dann schieben die ihn ab!" Es sei unverständlich, warum die Stadt Hamburg eine so widersprüchliche Integrationspolitik praktiziere. "Wenn die Stelle, die mich bezahlt, diesen Schüler abschiebt", sagt er. "Dann hab' ich, dann haben wir doch versagt."

    Immerhin: Die Online-Petition wird den Abschiebe-Prozess zumindest verzögern, denn nun muss sich die Bürgerschaft mit dem Fall befassen. Eventuell, heißt es auf Seiten der Ausländerbehörde, ergeben sich so neue Argumente für eine Aufenthaltsgenehmigung. Und bis dahin macht Ayodele das, was er am besten kann: "Lernen, kicken, weitermachen."

    "Bis ich nicht mehr kann"

    Oma Elsa engagiert sich seit Jahren gegen Neonazis. Doch jetzt hat ihre Tochter einen Rechten als Freund. Eine Geschichte über Liebe und Politik. 

    veröffentlicht auf dem Zeit Online Blog "Störungsmelder" sowie bei jetzt.de

    Eigentlich ist die Demonstration vorbei, diesmal ist alles ruhig geblieben. Die Teilnehmer, meist Schüler und Studenten, haben ihre Banner zur Seite gelegt und freuen sich über die gelungene Aktion. Die Polizisten wollen die Kundgebung gerade auflösen, als sich ihnen diese zierliche alte Dame in den Weg stellt. Sie kocht vor Wut und hätte sie ihre Gehhilfe dabei, sie würde damit drohen. „Dieser junge Mann hat meinem Enkel ‘Scheiß Zecke’ zugeraunt“, ruft sie voller Empörung und zeigt auf einen der Kollegen. Plötzlich ist es mit der Ruhe dahin.

    Wie viele Omis begleiten ihre Enkel auf Demonstrationen gegen Rechts? Wie viele Großeltern wissen, dass „Zecke“ kein gewöhnliches, sondern ein rechtsextremes Schimpfwort ist? Elsa Dietrich weiß es, sie kennt sich mit der Problematik aus. Ihren richtigen Namen will sie zum Schutz aller Beteiligten deshalb auch nicht im Internet lesen.

                                      Bildrechte: Felix Pawlitzky

                                      Bildrechte: Felix Pawlitzky

    Elsa Dietrich ist 60 Jahre alt. Während andere in ihrem Alter lieber zu Hause bleiben oder über „die Jugend von Heute“ schimpfen, geht Elsa auf die Straße. Trotz des künstlichen Hüftgelenks und halbseitiger Lähmung. „Das erste Mal war ich auf einer Demonstration, bei der an einen ermordeten Jungen gedacht wurde“, erinnert sich Elsa. „Der war 15, genau wie unser Großer damals, und wurde von drei Nazis erschlagen.“ Seitdem begleitet sie ihre beiden Enkelsöhne so oft es geht, weil sie richtig findet, was ihre Jungs machen. Und weil sie Sorge um sie hat. Der Ältere ist mittlerweile 19 und studiert Physik. Der Jüngere ist 13, auch er will sein Abitur machen. Beide sind Punks, beide haben die menschenverachtende Gewalt der Rechtsextremisten bereits zu spüren bekommen. „Der Große wurde vor einem halben Jahr von einem Rechten krankenhausreif geprügelt. Seitdem hält eine Metallplatte seine Wangenknochen zusammen.“ Dass auch sie eine Gefahr eingeht, ist Elsa Dietrich bewusst. „Vor wenigen Wochen waren wir auf einer Gedenk-Demo hier in der Nähe. Das Opfer war eine Frau in meinem Alter.“ Dietrich besitzt einen alten Fotoapparat, mit dem sie während der Demonstrationen oft knipst. Als sie von dem Gedenkstein ein Bild machen wollte, fragte ein Passant, ob sie sich nicht lieber ein anderes Hobby suchen wolle. „Warum sollte ich? Ich habe keine Angst.“

    Elsa ist Mutter von drei Kindern und Großmutter von fünf Enkeln. Ihr Mann starb als sie 34 war, seitdem hält sie die Familie zusammen. Als die Menschen 1989 begannen, sich gegen die DDR zu wehren, war sie dabei. „Meine Kinder waren auf den Montagsdemos, während ich die Kleinen versorgte.“ Es war eine gefährliche Zeit, im Haus wohnten Stasi-Spitzel, „aber uns war das egal. Über unsere Wohnungstür hängten wir ein großes Schild: ‘Wir sind das Volk’.“ Mit der Wende kam die Ernüchterung - Elsa ist seitdem arbeitslos. Was sie hat, teilt sie mit ihrer 39-jährigen Tochter und deren „bunten Jungs“, wie sie die Punker liebevoll nennt. Die ältere Tochter ist alkoholabhängig, Elsas Sohn seit langem tot. Drei Jahre hatte die Familie gegen seine Krebserkrankung gekämpft und dafür sämtliche sozialen Kontakte aufgegeben.

     

    „Im Dorf habe ich deshalb kaum Freunde. Man redet auch nicht - da herrscht Stillschweigen.“ Still war man auch, als während eines Dorffestes das Tagebuch der Anne Frank verbrannt wurde. Still ist man, wenn es um die Liebesaffäre von Elsas Tochter geht. „Seit kurzem hat sie einen neuen Freund - einen richtigen Nazi, mit Glatze und allem drum und dran.“ Jetzt fürchtet Elsa, dass sie in die rechte Szene abrutschen könnte. Das will sie nicht zulassen. Sie kämpft auch im eigenen Umfeld gegen die rechtsextreme Ideologie. „Ich mache weiter bis ich nicht mehr kann.“ Wenn sie von den Rechtsextremisten in ihrem Dorf spricht, kneift Elsa Dietrich ihre Augen fest zusammen.

    Glaubt man ihren Worten, sind die Neonazis überall: Im Sportverein, auf der Kegelbahn. Wie eine Seuche, die sich ausbreitet. „Der Mann betreibt mit meiner Tochter Gehirnwäsche“, sagt sie und ballt die Hand zur Faust. Neulich habe er ein Lied über Hitler angestimmt und Elsa zum Hohn Eva Braun genannt. Sie ist zornig und so verzweifelt, dass ihr immer wieder Tränen in die Augen steigen. „Ich kann mich nicht mit meiner Tochter zerstreiten - Ich habe sonst doch niemanden mehr.“ Die größten Sorgen macht sie sich aber um ihre zwei Enkel. Bisher verheimlicht Elsas Tochter dem neuen Freund, dass ihre beiden Kinder in der alternativen Szene aktiv sind. „Was, wenn der Kleine mit seinem Irokesenschnitt nach Hause kommt und dieser Nazi sitzt am Küchentisch?“

    Elsa will hartnäckig bleiben. „Letzte Woche sollte meine Tochter für ein Nazi-Grillfest Kartoffelsalat machen.“ Die Tochter bat Elsa, für sie den Salat vorzubereiten. „Aber ich stelle mich doch keine drei Stunden hin und schnipple Kartoffeln für diese dummen Nazis!“ Am Ende tat sie es doch. Das Salz fehlte, aber die alte Dame verlor kein Wort darüber. „Ich wusste, dass der Nazi sauer wird. Die Rechten behandeln ihre Frauen ja sehr herablassend. Aber das muss sie allein merken, da bin ich provokant!"